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Montag, 12. September 2016

im falschen Zug

Mal wieder ist es ein Buch, das mich hier zum Schreiben bringt. Harald Welzer, Selbst denken, eine Anleitung zum Widerstand. Ich gestehe, das Buch hat mich erst einmal furchtbar deprimiert. Die Abstrusität der menschlichen Dummheit wird da in seiner ganzen Grossartigkeit präsentiert. Und dann fiel es mir auch überall in meiner Wirklichkeit auf: Poulet für 3.99 Fr! Das neue iPhone 82s! Hurrah, der Nordpol schmilzt, endlich können wir graben! Übrigens wollen wir auch nicht auf Cervelats verzichten - lieber essen wir Cervelats und gucken dann wie wir mit den 7 Metern mehr Meer klarkommen, wenns so weit ist. Zudem würde es uns auch extrem stören, wenn unser Kaffee 5 Rappen mehr kosten tät. Und Steuern möchten wir auch gern abschaffen, denn wen kümmerts schon, was aus uns ALLEN wird? Solange mein Kaffee nicht teurer wird, ist alles ok. Ah, und die grüne Wirtschaft, ja, die nehmen wir schon, aber nur als light-Variante.

Es hat mich im Stillen unglaublich wütend gemacht. Warum sind wir so unheimlich kleinkariert? Ganz ehrlich, ich fände es toll, wenn wir mal radikal wären, und zum Beispiel die Lebensmittelpreise realistisch gestalten. Es wär dann teuer, was teuer sein muss, und wir gäben viel mehr Geld für unser Essen aus, was ich super fänd, dann hätten wir nämlich weniger, um für unsinnigen Quatsch zu verprassen, und zudem überlegten wir uns zweimal, ob wir die braun getüpfelte Banane vielleicht nicht doch essen wollen anstatt sie wegzuschmeissen. Oder? Und ja, ich weiss, was macht dann die arme Wirtschaft? Die arme Wirtschaft ist in unseren Händen, und von mir aus können wir gern dazu gezwungen sein, diese komplett zu verändern. Darum gehts übrigens auch im Buch. Wir leben in der heiligen Wachstums-Wirtschaft und Wachstums-Gesellschaft und sind so geblendet von ihrem Pseudo-Heiligenschein dass wir verkennen, was jedes Kind begreift, dass ewiges Wachstum schlicht unmöglich ist.
"Wenn man einem, sagen wir, neunjährigen Kind erklären würden, dass die Erde den Ressourcenhunger der Welt nicht stillen kann, und es nach einer Lösung fragen würde, könnte es zum Beispiel sagen: "Erfindet etwas, das die Menschen kleiner macht, dann reicht die Menge an Ressourcen, die die Erde bietet, für alle." Ein Erwachsener dagegen würde sagen: "Wir müssen wachsen! Ohne Wachstum haben wir keine wirtschaftlichen Möglichkeiten, die Umweltprobleme zu bewältigen!" [...] Man sieht: Erwachsenwerden bedeutet leider oft: dümmer werden."

 Was passiert, wenn wir glauben, unsere Probleme mit Wachstum lösen zu können, wird im Buch ebenfalls anschaulich beschrieben. Zwar sind unsere Autos und Kühlschränke viel effizienter geworden, und gleichzeitig so viel grösser, dass sie unterm Strich mehr verbrauchen ("Rebound-Effekte"). Ökologische Kaffee-Kapseln? Dazu muss ich glaubs nichts sagen. Die grössere Effizienz wird sofort durch vermehrten Konsum (über-)kompensiert. Oder, wie es Volker Pispers ausdrückt: Wir rasen mit einem Zug auf den Abgrund zu, und ab und zu ersetzen wir den Zugführer, aber ein Richtungswechsel kommt nicht in Frage. So wissen wir wenigstens, wo's hingeht.

Und dieses Wachstum ist nicht nur in der Wirtschaft evident, sondern auch in unserem eigenen Leben. Auch wir sollen wachsen, als Persönlichkeit! Und das bitteschön im Lebenslauf gut dokumentiert festhalten und wenns geht auch auf facebook ausführlich darlegen. Wir sind nie fertig, mit gar nichts. Besser schneller schöner reicher höher tiefer ohne Ende. (Ja, ich wiederhole mich.)
Ist es nicht Zeit für ein neues Denkmodell? Für eine neue Wirtschaft, eine neue Gesellschaft, ein neues Leben? Für mich jedenfalls schon.

Und warum reagieren eigentlich alle allergisch auf das Wort Verzicht? Ich verzichte diese Woche zum Beispiel auf Kaffee (weil er mir zu günstig ist...), und merke, dass mir das in mancherlei Hinsicht ganz gut tut. Es tut imfall nicht weh! Das ist ein riesen Drama um gar nichts. Die Lebensqualität schrumpft dadurch um kein bisschen. (Vielleicht steigt sie sogar?)
"Die konkrete Utopie heisst: Zivilisierung durch weniger. Nämlich durch weniger Material, weniger Energie, weniger Dreck. Neugier, Sehnsucht nach anderem, Wünsche und Träume darf es dagegen durchaus mehr geben: Sie sind die eigentlichen Produktivkräfte des Zukünftigen."

Dienstag, 12. April 2016

stehen bleiben


Eines der letzten Bücher, das ich gelesen habe heisst "Start where you are: a guide to compassionate living" (Beginne wo du bist: Eine Anleitung zum mitfühlenden Leben) von Pema Chödrön. Ich habe mir diese Stelle angestrichen:
"You're never going to get it all together". There isn't going to be some precious future time when all the loose ends will be tied up. Even though it was shocking to me, it rang true. One of the things that keeps us unhappy is this continual searching for pleasure or security, searching for a little more comfortable situation, either at the domestic level or at the spiritual level or at the level of mental peace.
Was sie sagt (oder was ich verstehe), ist, dass wir (so ähnlich wie mit dem Geld) mit unseren Selbstverbesserungs-Anstrengungen nie dort ankommen, wo wir hinmöchten. Wenn wir uns selbst jetzt, heute, hier nicht genügen, dann klappts auch unter anderen Bedingungen nicht. Das Problem kommt nicht von aussen, sondern von innen.

Ich bin nun seit einer Weile nicht mehr im Hammam angestellt. Natürlich ging das vorher mit der Fantasie einher, dass dann alles besser wird - dass ich mehr Zeit habe, und körperlich weniger angestrengt bin, und befreiter, und ein Stück weit einen Traum leben kann. Das stimmt auch alles, eigentlich, und dann trotzdem: es bleibt eben alles immer gleich. Ich habe noch die gleichen Gefühle und die gleichen Gedanken, ich bin die gleiche Person mit den gleichen Ängsten und Freuden und Hoffnungen. Die Zukunft verwandelt sich immer, immer, immer in die Gegenwart.

As long as you're wanting to be thinner, smarter, more enlightened, less uptight, or whatever it might be, somehow you're always going to be approaching your problem with the very same logic that created it to begin with: you're not good enough.That's why the habitual pattern never unwinds itself when you're trying to improve, because you go about it in exactly the same habitual style that caused all the pain to start.

Pema Chödrön schlägt vor, dass wir mal etwas anderes tun - etwas, das nicht unseren Gewohnheiten entspricht - nämlich, nicht weg zu rennen, sondern näher zu rücken. Unseren Gefühlen Raum zu lassen und dabei die Geschichten, die sich in unserem Kopf zu Knäueln aus Wut oder Trauer oder Sehnsucht oder Eifersucht formen, loszulassen. Und dann einfach nur zu sehen, was da eigentlich ist: dieses Gefühl, das Teil unseres Menschseins ist. Das uns mit den Menschen verbindet, die neben uns im Bett liegen, neben uns im Zug sitzen, neben uns Tomatensauce aus dem Regal nehmen, mit denen, die wir bejubeln und denen, die wir verabscheuen. Hinter all den Worten und Gedanken sind wir uns so ähnlich. Hinter unseren Meinungen haben wir alle, wie es Pema Chödrön nennt, einen weichen Punkt - ein Herz... das wir alle so gut es geht beschützen wollen, weil wir uns so sehr vor dem Schmerz fürchten. Wir vergraben es unter Einstellungen und Argumenten, Vorlieben und Abneigungen, so tief, dass uns nichts mehr berühren kann.

So. Ich fand das Buch am Anfang uninteressant. Sie ist eine amerikanische buddhistische Nonne einer tibetischen Linie, und ich habe diese Dinge tausendmal gehört ("deine Gefühle sind bloss wie Wolken am Himmel") blabla. Aber dann wurde es eben doch spannend. Wieviele von uns jagen einem Glück hinter her, das in unserer Fantasie glitzert und glänzt? Ich habe als Kind mal eine Werbung gesehen von einem glitzernden Lippenstift, und dieser Lippenstift hat mich so sehr fasziniert, dass er Teil meiner Fantasie des idealen Ichs wurde. Mein bestes Ich (in meiner Welt als zwölfjährige) trug ein rotes Top und Glitzerlippenstift und stand lachend im Garten.
Ich kann niemals dieses Mädchen mit dem Glitzerlippenstift werden. Ich bleibe immer ich selbst, und dieses selbst ist manchmal glitzernd und manchmal dreckig und manchmal laut und manchmal leise, mal schnell, mal langsam, manchmal glücklich und manchmal unglücklich, und wer glaubt, dass das irgendwann anders wird, vergisst, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Was wir können, ist, jetzt und heute und hier ein Stück näher an uns selbst heran zu rücken, uns berühren zu lassen ohne den Fabeln die sich unser Gehirn ausmalt zu verfallen und darin uns selbst zu erkennen - und die Menschen um uns herum.

Samstag, 13. Februar 2016

gut & gerne leben









Diesen Post habe ich bereits vor Wochen verfasst, Teile gelöscht, andere hinzugefügt, mich gefragt ob ich das wirklich veröffentlichen will. Dann war er fertig, dachte ich, und ging für ein paar Tage zu meinen Eltern. Als ich zurück kam, hab ich ihn noch mehr in Frage gestellt. Eltern haben ein Talent dafür, mit den leisesten Worten die lauteste Kritik zu üben. Ich hab mich gefragt und vor allem hinterfragt, vom Anfang zum Ende und wieder zurück. Geändert hat sich nichts - ich denke immer noch, dass diese Gedanken wahr und wichtig sind. Mindestens für mich.

"Ich lebe mit wenig Geld gut und vor allem gerne" habe ich in meiner Beschreibung gesagt. Über Geld spricht man ja nicht, aber ich finde das nicht clever. Es gibt dem Geld eine Macht, die es gar nicht hat, und etwas mystisches. Dabei sind es bloss Zahlen, und sie sagen nichts über mich aus.
Ganz ehrlich: ich bin dem Zauber des Geldes auch nicht überlegen. Das merke ich, wenn ich auf mein Konto gucke, und die immer grösser werdende Zahl nie gross genug ist. Mehr mehr mehr. Wir kommen nie an. Selbst wenn wir Millionäre sind, ist es nie genug. Darum ists besser, diese Gedanken eher früher als später als das zu erkennen, was sie sind: halt- und sinnlos. Unser Reichtum ist stets relativ. Deshalb gilt auch hier: jetzt oder nie. Zum Beispiel um grosszügig zu sein: wenn ich jetzt kein Geld zum Spenden hab, dann hab ichs nie.

Ich werd ab und zu ein wenig skeptisch gefragt, wie ich denn gedenke, ein gutes Leben zu führen (naja, nicht in dem Wortlaut, es ist mehr so: Aber du brauchst doch einen richtigen Job? Ein richtiges Einkommen?). Weil ich glaube, dass "ein richtiger Job" & "ein richtiges Einkommen" dafür stehen, ein gutes Leben zu führen, läuft das aufs selbe hinaus. (Korrigiert mich, wenn ich das falsch sehe).

Ich würde sagen, das tue ich bereits. Mein Leben ist wunderbar (finde ich), und ich bin auch nicht komplett naiv. Von 1500 Franken kann ich leben. Ich habe dafür eine Liste gemacht (inkl. Kosten für Velo, Arzt, Kaffee, 3. Säule und Spenden (!) und alles andere eben), und wollte sie erst veröffentlichen, tue das jetzt nicht, aber falls sie jemand sehen möchte, nur zu! melde dich.

Um das zu verdeutlichen (und zu beweisen): Ich hab im 2015 durchschnittlich knapp 2500.- pro Monat verdient/erhalten und habe 10'000 Franken gespart. Dabei hab ich nebst den aufgelisteten Kosten für Massage- und Shiatsukurse noch gut 4000 Franken ausgegeben. Also hatte ich insgesamt 14'000 übrig, mit Ausgaben von 1500.- hätte ich aber nur 12'000 gespart - meine Ausgaben waren also sogar niedriger. Für meine Ferien war ich eine Woche in Taizé, eine Woche in der Provence, eine Woche in Bayern (das war für mich gratis) und eine Woche zu Hause. Kaufen und essen tu ich vorallem Bio-Futter, und das meiste davon ist Gemüse.

Also, 1500.- ist das Minimum; 2000.- sind gut, damit bleibt genug für die 3. Säule (und um teure Shiatsu Kurse zu machen), 2500.- ist schon recht luxuriös. Der Trick dabei ist natürlich, möglichst wenig Dinge zu kaufen, und sehr gut gelingt das, wenn man sich zuerst hinterfragt, zum Beispiel mit der Frage: Wenn ich dieses Produkt kaufe, hilft es mir, als Person zu wachsen? Dann kann ich also vor einem hübschen T-Shirt stehen: nein - oder vor einem hübschen Stoff, den ich erst noch zum T-Shirt nähen muss: ja. Vor allem hilft auch warten. Wenn ich das Produkt nach zwei Wochen noch will, dann ists wohl wichtig. Gut ist auch, Sachen zu kaufen (oder selbst zu machen), die man lange brauchen kann, und geliebte Dinge (selbst) zu reparieren, anstatt zu ersetzen.

Mir ist klar, dass dieses "Modell" nicht für alle realistisch ist. Wenn man nicht kerngesund ist, steigen die Kosten sofort um einiges. Wenn man alleine leben will/muss, ist die Miete doppelt oder dreifach. Ich will nicht behaupten, dass meine Lebensweise für alle ideal ist. Ich will aber sagen, dass wir im Grunde hier extrem luxuriös leben, und zu selten daran denken, mit wie wenig andere Menschen auf dieser Welt ein Leben führen - ein Leben, das genau so wertvoll ist wie unseres.
Und was mir auch bewusst ist: ich bin ein introvertiertes Mädchen ("I like to party and by party I mean read books") und wenn ich Spass haben will, gehe ich in mein Zimmer und räume meinen Schreibtisch auf. So ungefähr jedenfalls. Mit mehr als zwei Leuten im Raum fühle ich mich wie unter einer trötenden Elefantenherde - zu ertragen nur mit viel Kaffee, Alkohol oder geistiger Abwesenheit. (Am besten allerdings mit körperlicher Absenz.)
Mal abgesehen davon, bin ich jedoch immer noch überzeugt, dass unsere äusseren Umstände (abgesehen von ausreichend Essen, Schlaf und Gemeinschaft) rein gar nichts mit Glück und Zufriedenheit zu tun haben. Mir scheint, dass unsere Kultur in erster Linie Glück mit Konsum gleichsetzt - das können Waren sein (Kleider, Autos undsoweiter), aber auch Aktivitäten (Konzerte, Hobbys ect) oder Reisen. Unsere Gehirne, das hab ich mal in der Psychologie-Vorlesung an der Uni gehört, finden Neues einfach geil (sowas sag ich normalerweise ja nicht, aber hier stimmt es wirklich: geil). Dumm nur, dass Neues eben nie lange neu ist. Und so zeigen ja auch Studien dass das Gros der Menschheit nach lebensverändernder Ereignissen nach ungefähr zwei Jahren wieder den selben Glückslevel aufweist. Es gibt aber auch Wege, sein Glück dauerhaft zu steigern. Und das sind nicht Dinge wie auswandern, eine Schönheits-OP oder ein Lamborghini. Es sind kleine Dinge. Dankbar sein, achtsam sein, mitfühlend sein. Geld für andere auszugeben macht uns glücklicher als es für uns selbst zu brauchen. Das Glück ist nicht am anderen Ende der Welt - es ist hier, zu unterst in der Kaffeetasse. In jedem Atemzug. Wie gesagt: ein Moment kann einem anderen in seiner Qualität nicht überlegen sein.

Du schüttelst vielleicht immer noch ein bisschen den Kopf und denkst beim Anblick meines Einkommens, das ist doch ein Chrampf - und überhaupt, wo ist denn da das Gute im guten Leben? Ich sags dir: Ich arbeite (idealerweise) so 50-60 Prozent und meine Arbeit ist mir wichtig. Daneben habe ich Zeit. Zeit um den besten Kaffee der Welt zu trinken, Stoffservietten zu nähen, Lichterketten zu basteln, Weihnachtskarten zu malen, meinen Avocadobaum (der noch viel Potential bezüglich "gross und stark werden" zeigt) zu giessen, Alessandro Baricco zu lesen und Mister Ed zu gucken, vegane Pizza zu backen, morgens Porridge zu kochen und Ingwertee zu trinken, der mich gesund hält und einen Blog zu schreiben. Zeit, zum Ruhe finden. Zeit für sinnlose Langeweile. Zeit zum Spielen. Zeit, um Lust zu spüren immer wieder Neues zu lernen, und zu wachsen. Ich finde das gut. Extrem gut sogar!

Dienstag, 24. November 2015

oben und unten und umgekehrt

Die Sache mit unserem Bildungssystem beschäftigt mich weiterhin. Es ist eben vieles verknüpft: Wenn ein Kind in der Schule an einen Mittelwert gebunden wird und sich bloss innerhalb dieses engen Tunnels bewegen darf, kommt es auf der anderen Seite raus und fügt sich in die geradlinige Bahn des Systems ein. Die innerliche Rebellion dagegen ist mit den Jahren einigermassen abtrainiert. Was man dann noch fühlt, ist, dass die Arbeit irgendwie nicht erfüllt, und auch kein Produkt aus der Werbung zum glücklichen Leben führt.
Wenn nun das erste Lebensquartal nicht damit verbracht würde, uns so sehr in die wirtschaftlich erwünschte Form zu pressen, gäbe es noch was anderes, nämlich, wie es Remo Largo formuliert, uns selbst zu finden – unser Potential zu entdecken und zu verwirklichen. Wenn dabei der enge Tunnel zur freien Wildbahn würde, wäre dieser Weg auch nicht so von Angst geprägt. Was ich sagen will: Ein Kind kann sein Potential als Schreiner verwirklichen, oder als Bäuerin, oder als Bankmanager, oder Ärztin, Jurist, oder als Floristin. Das Kind findet seinen Platz dort, wo es hingehört – nicht da, wo es die besten finanziellen Aussichten hat. Und wenn diese Potential-Entwicklung nicht so sehr von unserem System gebremst würde (indem eben möglichst ALLE Kinder nach möglichst weit „OBEN“ kommen sollen), würden wir vielleicht auch begreifen, dass oben und unten völlig falsch verteilt sind, und es ändern: oben ist, wo sich Potential entfalten kann. Vielleicht würde uns dann auch einfallen, dass wir als Gesellschaft unser System selbst in der Hand haben, und z.B. Geld und Status so verteilen können, wie wir es richtig finden.
Die ganze Geschichte interessiert mich vermutlich zum Teil, weil ich viel Zeit in diesem vielversprechenden Tunnel verbracht habe und am anderen Ende planlos und etwas verwirrt herausgestolpert bin. Konkret sehe ich, dass ich eine gute Schülerin war. Was heisst das? Dass ich unheimlich gut darin war, mich ans herrschende System anzupassen. Es heisst nicht, dass ich eine gute Lernerin war, und am wenigsten heisst es, dass ich herausgefunden habe, was ich bin. Im Gegenteil – ich vermute mittlerweile, dass diejenigen SchülerInnen, die in der Schule keine guten Noten schrieben, nicht immer, aber oft verstanden, dass die Noten nichts mit ihnen zu tun haben. Sie taten dann einfach das, was sie sowieso gerne tun und scherten sich nicht allzu sehr um Bewertungen. Ich denke, ich habe nun ein bisschen Glück, weil ich die gerade Strasse irgendwann so öde fand, dass ich nicht weiter wollte. Stattdessen habe ich mich erst mal dem ganzen Druck entzogen, „etwas zu werden“, und kapiert, dass die Existenzangst meiner meisten Mitmenschen (und meine eigene) ein blasses Gespenst ist. Ich kann so einfach überleben, und muss gar nirgends hin. Vielleicht kann ich jetzt anfangen, herauszufinden, was ich bin und was ich damit anfangen möchte. Und wenns dann noch ein paar Jahre dauert, braucht sich niemand zu wundern.
Für diejenigen, die's auch interessiert:
Verschenkte Vielfalt (Remo Largo und Claus Leggewie): Wann Leben und Lernen gelingen
Alphabet - Angst oder Liebe (Film)
R.D. Precht: Anna, die Schule und der Liebe Gott (Buch)
André Stern: Und ich war nie in der Schule (Buch)

Samstag, 1. August 2015

Menschliches

Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt; sie ist die messbare Seite der Welt. (Martin Seel)
Vor einiger Zeit habe ich einen Artikel über künstliche Intelligenz gelesen und davon, dass die Menschheit vielleicht kurz davor ist, eine Technologie zu erschaffen, die exponentiell schlauer wird, und uns dann urplötzlich in wunder- oder grausamer Weise überlegen ist.
Da stellt sich mir einmal mehr die Frage: was heisst das denn, intelligent zu sein? Das Instrument, das uns zur Verfügung steht, und zwar das einzige, ist unser komplett menschlicher Verstand. Alles, was wir tun, tun wir aus menschlicher Perspektive. Wir können es noch so sehr wollen, alles darüber hinaus bleibt uns verschlossen. Wir messen die Welt mit menschlichen Massstäben und wir beschreiben sie mit menschlichen Worten. Wir berechnen unsere Gesetzmässigkeiten mit menschlichen Formeln und denken unsere menschlichen Gedanken in unseren menschlichen Gehirnen. Also: eigentlich haben wir keine Ahnung, was eine nicht-menschliche Intelligenz sein könnte.
Ausserdem dachte ich ganz lange, dass die Geschichte eine lineare Sache ist, oder sich zumindest irgendwie von links nach rechts und von unten nach oben bewegt. Früher war alles schlechter, und heute ist alles besser. Wir sind nun die klügsten, schönsten und glücklichsten Lebewesen aller Zeiten. Irgendwann hab ich dann doch noch verstanden, dass das nicht so ganz stimmt. Die Geschichte ist nicht mal ein ordentlicher Zickzack oder eine schöne Wellenbewegung, sondern einfach ein wirres Gefüge aus unzusammenhängenden Schnörkeln.
Wir wissen ja, dass wir so vieles nicht wissen. Die Wissenschaft wirkte vor einigen Jahrhunderten auch unheimlich clever. Und trotzdem musste die Sonne dann irgendwann in der Mitte unseres Sonnensystems stehen bleiben. Wir wissen auch, dass unsere Wahrnehmung beschränkt ist. Wir sehen die Blumenwiese nicht wie eine Biene. Und trotzdem halten wir so sehr daran fest, dass wir nur glauben wollen, was uns bewiesen werden kann. Die Wissenschaft geniesst ihre akzeptierte Exklusivität. Alles was unser menschlicher Verstand nicht erfassen kann, ist eben schlicht nicht existent. Was uns fehlt, ist vielleicht ein bisschen Demut und ein offenes Herz.

Sonntag, 12. April 2015

+ Lohn, - Motivation

Seit einiger Zeit kreist ein Gedanke immer wieder durch meinen Kopf. Joshua Becker hat kürzlich einen Beitrag dazu verfasst: „If you wouldn't do it for free, don't do it for money“ (wenn du es nicht umsonst tun würdest, mach es nicht für Geld).
Das beschäftigt mich sowohl aus seiner Perspektive heraus, als auch von der psychologischen Seite her. In meinen kurzen Exkursionen in die Uni-Psychologie habe ich gelernt, dass unsere intrinsische Motivation sich von Geld (bzw. Belohnungen) sehr stark beeinflussen lässt – und zwar im negativen Sinne! Dazu gibt es unter anderem ein Experiment, in denen zwei Gruppen Kinder Bilder malen sollten. Die eine Gruppe erhielt danach eine Belohnung, die andere nicht. Als die beiden Gruppen später noch einmal eingeladen wurden, zeigte die zuvor belohnte Gruppe im Vergleich weniger Spass am Malen.
So: was das bedeutet, ist ja klar. Nun werde ich aber in meinem Leben für das meiste, was ich gerne tue, belohnt – in der Schule mit Noten, in der Arbeit mit Geld. Das Hobby zum Beruf zu machen ist also vielleicht keine so gute Idee.
Aber eigentlich sollte es doch nicht so sein! Ich kenne mich kaum aus mit wirtschaftlichen (und unwirtschaftlichen), sozialen und wasauchimmerdanochstehenmüsste Systemen (um hier klug zu erscheinen, müsste ich wieder googlen...). Deswegen ist meine Idee sicherlich auch überhaupt nicht realistisch – trotzdem:
was wäre, wenn unser Geld keinen Zusammenhang mit unserer Arbeit hätte? Im ersten Moment denke ich da: abstrus! Dann wäre jeder bloss faul und würd sich um nichts kümmern. Aber wenn wir nun unsere intrinsische Motivation nie verloren hätten?

Donnerstag, 26. Februar 2015

ein unpolitischer Gedanke

Charlie Hebdo-
es ist nicht mehr ganz am Puls der Zeit, aber es beschäftigt mich doch immer noch: der Vorfall wird zur Heldentat, das Magazin zum Symbol für Pressefreiheit, die Autoren zu Idolen. Statt 8000 hat das Blatt nun 200 000 Abonnenten. Es ist ein Gänsehautspektakel...
und ich denke an die Menschen, die dabei gestorben sind, und die nicht sterben wollten. An ihre Familien, die nun ohne sie weiterleben müssen. Sie sind nicht bloss Symbole und Helden und Idole, sie sind in aller erster Linie Menschen, und dass sie getötet wurden, ist abscheulich. Sie hatten nicht die Absicht, für einen guten Zweck zu sterben. Die „Idealisierung“ des Ereignisses hat ein Fundament aus Leid und Schmerz. Ganz leise möchte ich einfach sagen: Für die Idee der Pressefreiheit und des Widerstands sollte kein Mensch geopfert werden. Auch nicht in unseren Köpfen.

Freitag, 6. Februar 2015

ein Mopp und ein Muffin

Manchmal, wenn ich im Supermarkt in der Schlange stehe, sehe ich mir die unzufriedenen Gesichter der Verkäuferinnen an, deren Stimme sich in der Monotonität vom Piepsen der Kassen nur wenig unterscheidet, und die unzufriedenen Gesichter der ungeduldigen Kunden, die in ihrem Portemonnaie wühlen und einander auf den Fersen stehen. Dann fällt mir auf, dass sich mein Gesicht auch so anfühlt - abends, wenn ich nach der Abendschicht den wintermatschgefärbten Boden noch aufnehmen muss, oder am Dienstag Nachmittag, wenn ich die Damen höchstpünktlich für eine Ganzkörpermassage in viel zu kurzen fünfundzwanzig Minuten abholen will, aber "die Kollegin ist grad noch auf dem Klo und ich muss noch eben meine Chips aufessen".
Thich Nhat Hanh schreibt in meinem Jahresbegleiter, dass wir uns zu sehr aufs Tun und zu wenig aufs Sein konzentrieren. Wir glauben oft, dass andere Menschen ein qualitativ besseres Leben führen. Aber die Qualität des Moments bleibt eigentlich stets gleich. Was im Film so aufregend oder romantisch aussieht, wird im eigenen Leben zu einer banalen Geschichte. Oder umgekehrt? Die Zeit, in der ich den Boden schrubbe, ist nicht an und für sich anders, als die Zeit, in der ich daheim unter der Bettdecke Serien schaue und Schokomuffins futtere (oder, wenn man etwas anspruchsvoller ist: nicht anders als die Zeit, in der ich mich in weissem Sand wälze und aus einer Kokosnuss trinke).Wenn es mir nicht gelingt, den jetztigen Moment wertzuschätzen, dann gelingt es mir auch nicht mit dem nächsten. Wenn ich aber mit der gleichen Ruhe und Freude den Mopp halten kann, wie das Schokomuffin (- oder nach Thich Nhat Hanh: wie einen kleinen Buddha...), dann ist jede Zeit eine erfüllte - nicht weil ich etwas tue, sondern weil ich bin.
Darum danke ich den Frauen, die ihre Chips aufessen, und den Grossmüttern, die in ihrem Portemonnaie nach dem Zähni suchen, das ihnen noch fehlt. Sie erinnern mich immer wieder daran, dass ich genau dort bin, wo ich sein will.
“Our notions about happiness entrap us. We forget that they are just ideas. Our idea of happiness can prevent us from actually being happy. We fail to see the opportunity for joy that is right in front of us when we are caught in a belief that happiness should take a particular form.”
- Thich Nhat Hanh

Sonntag, 23. Februar 2014

der Räuber Knatter-Ratter

Mein Blog-Untertitel sagt: es geht auch so. Kein besonders schlagkräftiger Satz, aber was ich damit meine, ist, dass etwas nicht dadurch richtig ist, weil es "alle anderen" so machen. Der Mensch als soziales Wesen geht aber grundsätzlich davon aus, dass man sich auf die Mehrheit verlassen kann (wie z.B. in diesem Experiment). Es wäre ja auch durchaus sinnvoll, oder? Auf einem Planeten mit mehr als sieben Milliarden Menschen sollte man doch davon ausgehen können, dass in jeglichem Bereich irgend jemand das Essentielle herausgefunden hat, und dass wir alle danach leben. In einer utopischen Welt wäre das wohl so. Hier und heute regiert jedoch Macht und Geld die Menschheit, und darunter leidet schliesslich jeder einzelne.
Und nebst dem Thema Ernährung und der Frage nach dem erfüllten Leben sehe ich auch ein Bildungssystem wie ein Löchersieb. Ich gebe seit fast zwei Jahren Nachhilfe, und nebst den Erfahrungen mit diesen Kindern habe ich auch meine eigenen. Seit 17 Jahren gehe ich zur Schule, und ich hatte einen hervorragenden Start. So lernbegierig wie ich war, war ich neidisch auf die Hausaufgaben meiner älteren Brüder und durfte in der Schule als Zusatzaufgabe das Buch über den Räuber Knatter-Ratter vorstellen. Mittlerweile steht auf meiner Immatrikulationsbestätigung der Uni "Studentin im 8. Semester" und ich zweifle mehr denn je an meiner Ausbildung- und an deren meiner Nachhilfeschüler. Meine Liebe zum Räuber Knatter-Ratter und allen anderen Geschichten war mir nach dem Gymnasium gründlich vergangen. Ich konnte fast nicht mehr lesen - die Buchstaben standen vor mir mit erhobenem Zeigefinger, und mahnten mich zur Interpretation. Ich durfte nicht mehr einfach lesen, ich musste analysieren. Analysen finde ich ungefähr so toll wie die Essensreste aus dem Ausguss zu klauben.
Die Schule hat es also geschafft, meine Liebe zu Büchern in Abneigung zu verwandeln (zumindest für eine Weile). Und ich weiss, dass das kein Einzelfall ist. Einen grossen Teil meiner Schulausbildung sehe ich als komplett sinnlos an. Und es wurde je länger desto schlimmer! In der Primarschule lernt man wohl zum allergrössten Teil Dinge, die man später tatsächlich auch braucht. In der Sekundarschule haut es teilweise auch noch hin. Aber dann? Was weiss ich noch von Exponentialrechnungen, Van-der-Waals-Kräften und Tonleitern? Nichts! Ich musste sogar noch googlen, ob ich die Wörter richtig schreibe. Und im Studium? Im Religionswissenschaft habe ich was über den Gründer von Tong-il-kyo gelernt und dass die Jainas in zwei Hauptgruppen unterteilt sind. Toll, oder? Einen Überblick über die Weltreligionen wurde mir nie vermittelt, stattdessen weiss ich, dass Malinowski kein Sessel-Anthropologe war. Ich habe drei Jahre Tibetisch studiert um schliesslich keinen einzigen Satz formulieren zu können. Ich habe gefühlte hunderttausend Seiten für Seminar- und sonstige Arbeiten geschrieben, für die sich kein Mensch (und ich sowieso nicht) interessiert, bin minimal vorbereitet an Prüfungen gegangen und bin dennoch kein einziges Mal durchgefallen, nicht mal annähernd. Das liegt nicht an meiner Kompetenz, sondern am fehlenden Interesse von Seiten der Uni. So scheint es zumindest. Dass in den Vorlesungen zum Teil Anwesenheitspflicht herrscht ist ja ein weiteres Indiz dafür, dass die Professoren ihre Studenten nicht anderweitig anzulocken vermögen. Lernen ist Pflicht, und nicht Genuss - aber ist das richtig? Nein, ist es nicht.
Kinder sollten bereits von Anfang an die Möglichkeit haben, Entscheidungen zu treffen und sich in Richtung ihrer Interessen zu entwickeln. Natürlich müssen gewisse Grundlagen vermittelt werden, aber da müsste ein Spielraum bestehen, in dem Kinder ihre Schwerpunkte legen können. Leo Babauta hat seine Kinder komplett von der Schule genommen (voila: Unschoolery), und sie machen zu Hause nicht einfach das, was sie in der Schule tun würden, sondern er lernt mit ihnen diejenigen Dinge, für die sie sich ganz von selbst interessieren. Es gibt auch andere Leute, die für eine radikale Umgestaltung des Schulsystems argumentieren (hier Precht, da Wagenhofer, dort Gray).
Zentral dabei ist die Wahl des Kindes, und dass wir Kinder nicht nach Leistung in Form von Noten bewerten und schliesslich deren Erfolg an der Höhe des Lohnes nach abgeschlossener Ausbildung messen. Ich habe als Jugendliche gesagt, dass ich nicht aufs Gymnasium will, und auf dem Gymnasium, dass ich nicht an die Uni möchte - jetzt bin ich hier, einerseits sicherlich aus fehlendem Entscheidungsvermögen, andererseits aber auch, weil mir stets gesagt wurde, dass ich doch "mein Potential" ausschöpfen müsse. Welches Potential? Was wäre, wenn ich eine Lehre gemacht hätte und mich der gewählte Beruf komplett erfüllt hätte? Hätte ich nicht genau dann mein Potential verwirklicht? Stattdessen bin ich heute immer noch Teil des Systems, das ich innerlich ablehne, und ich weiss noch genau so wenig wie als Sekundarschülerin, wohin es mich bringen soll.
Völlig unpotentialgeleitet habe ich glücklicherweise letztes Jahr im Quartier-fast-bio-lädeli angefangen und eine Massageausbildung gemacht, die mich nun ins Hammam gebracht hat - zwei Jobs, in denen ich das tun kann, was ich gerne tue. Was ich mit der Uni mache, ist noch ungewiss, und wird es vielleicht immer bleiben.

Montag, 27. Januar 2014

Polarstern

Was ich in meinem letzten Beitrag angesprochen habe, ist ein Lebensstil, der sich Minimalismus nennt und der sich in meiner Welt mit den Namen Leo Babauta und Joshua Becker verknüpft. Eigentlich finde ich, dass sich Minimalismus genau so gut Maximalismus nennen könnte. Es geht darum, zu minimieren - Besitz, in erster Linie - zugunsten der Dinge, die für ein Menschenherz wirklich wichtig sind: Freunde, Familie, Tee und Apple Crumble. Für geliebte Menschen und geliebte Tätigkeiten.
In meinem Kinderkopf schwebte mir das Leben als ein klar definierter Ablauf vor. Schule, Beruf, Familie. Etwas anderes war ausserhalb des Vorstellbaren. Es war gar nie die Frage. Gut ist in dieser Gleichung Erfolg. Gute Noten, guter Beruf, gute Familie. Damit einher ging auch die Angst, dass ich versagen könnte.
Jetzt bin ich zweiundzwanzig. Wie kommt es, frage ich mich, dass es so lange gedauert hat, bis ich verstanden habe, dass diese Vorstellung keine Realität ist?
Tatsache ist: ich finde mein banales Leben so aufregend, dass ich manchmal nicht einschlafen kann. Ich bin bezaubert von meiner Arbeit, meinem Zimmer, meinem Essen, meinem Freund, den Menschen um mich herum, der Schweiz, der Aare, dem Auto- und Zugfahren, ich bin bezaubert vom Zitronenmelissentee aus dem Garten meiner Eltern und den unendlichen Möglichkeiten des hier und jetzts.
Und gleichzeitig bin ich bestürzt, verärgert, entsetzt über die Welt, darüber, dass wir die Zahnräder unseres Systems so ineinander gefügt haben, dass dazwischen Millionen von Lebewesen zermalmt werden, physisch, psychisch, emotional, finanziell. Während ich Earthlings sah mit 17 habe ich eineinhalb Stunden durchgeheult, und wenn ich heute More than Honey schaue ist es nicht viel anders.
Und mit dem Moralgeblabber, das hier bereits wieder aufhört, möchte ich noch sagen, dass ich die letzte bin, die das Recht hat, Steine zu werfen. Ich bin nicht konsequent, ich scheitere ständig, am veganen Leben, an der Authentizität, am Mitgefühl, an der Einsicht, der Ehrlichkeit, am glücklich und achtsam sein. Aber, wie es Thich Nhat Hanh so schön sagte: ich orientiere mich am Polarstern ohne zu erwarten, dass ich jemals dort ankomme.
"The problem is whether we are determined to go in the direction of compassion or not. If we are, then can we reduce the suffering to a minimum? If I lose my direction, I have to look for the North Star, and I go to the north. That does not mean I expect to arrive at the North Star. I just want to go in that direction."
- Thich Nhat Hanh

Freitag, 27. Dezember 2013

Banalitäten

Was, also, macht mich glücklich?
Das ist eine vielschichtige Frage, und sie lässt sich vielleicht nur in Teilaspekten beantworten.
Ich habe bereits vor Jahren damit angefangen, Tagebuch zu schreiben. Meine Tagebücher sind mir sehr kostbar, weil ich ein Stück weit mich selbst darin finden kann, und vor allem, mich wiederfinden kann. Gestern Nacht habe ich in meinem vorletzten Tagebuch geblättert (wobei vielleicht noch anzumerken ist, dass sich so ein Tagebuch über zwei bis drei Jahre erstreckt) und entdeckt, dass ich mit siebzehn aufgewacht bin. Ich war so hungrig nach dem Leben, nach Gott und der Welt und nach Liebe, nach Licht und Begegnungen.
Was ich seit da gelernt habe, ist, dass sich das Glück auf dem Boden einer Tasse Kaffee findet, und in jedem Atemzug. Ich glaube, dass das Glück in der Einfachheit liegt. Einfachheit in jeder Hinsicht; das heisst: Weniger Besitz, weniger Konsum, weniger Arbeit, weniger Sorgen, weniger Ehrgeiz, weniger Pläne. Das Leben ist in seiner Banalität ein Wunderwerk, und das Streben nach mehr verschleiert bloss den Glanz der Gegenwart. Das Leben ist in sich bereits genug. Es gibt keine besseren Leben und keine besseren Menschen. Es gibt keine verschwendete Zeit und keine verpassten Möglichkeiten.
Durch die Freiheit, nicht mehr haben und sein zu müssen, ergibt sich eine unendliche Freiheit, nämlich zu spielen, zu lieben, auszuprobieren, zu scheitern.
"The world is a playground. You know that when you are a kid but somewhere along the way, everyone forgets it." (Yes Man)

happiness

Montag, 16. Dezember 2013

Essenz & Existenz

Es gibt wohl in meinem Leben zwei essentielle Fragen:
1. Wie mache ich mich glücklich?
2. Wie mache ich alle anderen glücklich?
Ich fange mit der zweiten an. Und zwar mit einem Individuum, das in unserer Gesellschaft in einem unfassbaren Ausmass misshandelt, missbraucht und missverstanden wird: das Tier.
Erstmal vornweg: Ich bin keine Veganerin. Aber ich strebe danach.
Keine Milch, keine Eier; erstens, was kann man da noch essen, zweitens, wie kann man ohne gesund bleiben, drittens, warum überhaupt.
Drittens: In der Schweiz werden jährlich über zwei Millionen (2'000'000!) männliche Küken mit CO2 vergast. Sie sind nutzarmer Überschuss. Kühe leben in andauernder Schwangerschaft; wenn die Milchleistung nachlässt, hat auch die Kuh keinen Wert mehr. Das sind zwei von vielen Gründen, und die reichen mir bereits. Diese Beziehung zu einem lebenden Individuum, die einzig darauf aus ist, Profit aus allem zu erzeugen, was es hergibt, und die ein Lebewesen ausschliesslich auf einen ökonomischen Wert reduziert, ist krank. Ich finde das unmenschlich, unverständlich und unvertretbar.
Zweitens: Wenn man sich nicht nur von Pommes und Süssem ernährt, ist es problemlos. Man liest immer wieder, wie sehr man sich um eine ausgewogene Ernährung kümmern müsse. Blabla, sage ich. Wenn man auf tierische Produkte verzichtet, hat man gute Chancen, gesund zu sein. Die unzähligen Ernährungstheorien, Diätempfehlungen und Panikmache rund um gesund und ungesund sind verwirrend. Ich glaube, die Ernährungspyramide ist kompletter Unsinn, und ich bin grundsätzlich skeptisch gegenüber jeglichen Ernährungsgurus. Eine vegane Ernährungsweise ist vielleicht nicht die gesündeste. Sie gibt uns nicht das ewige Leben - aber sie ist bestimmt nicht weniger gesund als die Durchschnittsernährung der westlichen Länder. Und sie ist super einfach.
Erstens: Alles. Es gibt veganen Käse, veganes Rührei, vegane Weihnachtskekse, vegane Würste und so weiter, wenn mans denn unbedingt haben will. Manches schmeckt "echt", anderes nicht, manches schmeckt nicht, aber vieles schmeckt gut.
und ist das denn nicht furchtbar schwierig?
Das Schwierigste an der Bestrebung, vegan zu leben, ist das Erklären, immer und immer wieder (und auch immer wieder den selben Menschen), das Unverständnis, die Witze, die Scheinheiligkeit des Biofleischkonsumenten, die kalte Ignoranz.
Der Mensch ist so komfortabel in seinem Kokon aus Gewohnheit, dass es schwer fällt, sich etwas anderes vorzustellen. Das Schwierige am anderen ist nur die Vorstellung, aber nicht die Realität. Ich könnte nicht leben ohne ... (punkt punkt punkt), ist ganz einfach ein Hirngespinst.
Wie mache ich alle anderen glücklich? Ich fange mal damit an, dass ich sie nicht esse, nicht töte, nicht auf finanziellen Nutzen reduziere. Das Recht auf Leben gehört nicht dem Menschen allein.