Sonntag, 23. Februar 2014

der Räuber Knatter-Ratter

Mein Blog-Untertitel sagt: es geht auch so. Kein besonders schlagkräftiger Satz, aber was ich damit meine, ist, dass etwas nicht dadurch richtig ist, weil es "alle anderen" so machen. Der Mensch als soziales Wesen geht aber grundsätzlich davon aus, dass man sich auf die Mehrheit verlassen kann (wie z.B. in diesem Experiment). Es wäre ja auch durchaus sinnvoll, oder? Auf einem Planeten mit mehr als sieben Milliarden Menschen sollte man doch davon ausgehen können, dass in jeglichem Bereich irgend jemand das Essentielle herausgefunden hat, und dass wir alle danach leben. In einer utopischen Welt wäre das wohl so. Hier und heute regiert jedoch Macht und Geld die Menschheit, und darunter leidet schliesslich jeder einzelne.
Und nebst dem Thema Ernährung und der Frage nach dem erfüllten Leben sehe ich auch ein Bildungssystem wie ein Löchersieb. Ich gebe seit fast zwei Jahren Nachhilfe, und nebst den Erfahrungen mit diesen Kindern habe ich auch meine eigenen. Seit 17 Jahren gehe ich zur Schule, und ich hatte einen hervorragenden Start. So lernbegierig wie ich war, war ich neidisch auf die Hausaufgaben meiner älteren Brüder und durfte in der Schule als Zusatzaufgabe das Buch über den Räuber Knatter-Ratter vorstellen. Mittlerweile steht auf meiner Immatrikulationsbestätigung der Uni "Studentin im 8. Semester" und ich zweifle mehr denn je an meiner Ausbildung- und an deren meiner Nachhilfeschüler. Meine Liebe zum Räuber Knatter-Ratter und allen anderen Geschichten war mir nach dem Gymnasium gründlich vergangen. Ich konnte fast nicht mehr lesen - die Buchstaben standen vor mir mit erhobenem Zeigefinger, und mahnten mich zur Interpretation. Ich durfte nicht mehr einfach lesen, ich musste analysieren. Analysen finde ich ungefähr so toll wie die Essensreste aus dem Ausguss zu klauben.
Die Schule hat es also geschafft, meine Liebe zu Büchern in Abneigung zu verwandeln (zumindest für eine Weile). Und ich weiss, dass das kein Einzelfall ist. Einen grossen Teil meiner Schulausbildung sehe ich als komplett sinnlos an. Und es wurde je länger desto schlimmer! In der Primarschule lernt man wohl zum allergrössten Teil Dinge, die man später tatsächlich auch braucht. In der Sekundarschule haut es teilweise auch noch hin. Aber dann? Was weiss ich noch von Exponentialrechnungen, Van-der-Waals-Kräften und Tonleitern? Nichts! Ich musste sogar noch googlen, ob ich die Wörter richtig schreibe. Und im Studium? Im Religionswissenschaft habe ich was über den Gründer von Tong-il-kyo gelernt und dass die Jainas in zwei Hauptgruppen unterteilt sind. Toll, oder? Einen Überblick über die Weltreligionen wurde mir nie vermittelt, stattdessen weiss ich, dass Malinowski kein Sessel-Anthropologe war. Ich habe drei Jahre Tibetisch studiert um schliesslich keinen einzigen Satz formulieren zu können. Ich habe gefühlte hunderttausend Seiten für Seminar- und sonstige Arbeiten geschrieben, für die sich kein Mensch (und ich sowieso nicht) interessiert, bin minimal vorbereitet an Prüfungen gegangen und bin dennoch kein einziges Mal durchgefallen, nicht mal annähernd. Das liegt nicht an meiner Kompetenz, sondern am fehlenden Interesse von Seiten der Uni. So scheint es zumindest. Dass in den Vorlesungen zum Teil Anwesenheitspflicht herrscht ist ja ein weiteres Indiz dafür, dass die Professoren ihre Studenten nicht anderweitig anzulocken vermögen. Lernen ist Pflicht, und nicht Genuss - aber ist das richtig? Nein, ist es nicht.
Kinder sollten bereits von Anfang an die Möglichkeit haben, Entscheidungen zu treffen und sich in Richtung ihrer Interessen zu entwickeln. Natürlich müssen gewisse Grundlagen vermittelt werden, aber da müsste ein Spielraum bestehen, in dem Kinder ihre Schwerpunkte legen können. Leo Babauta hat seine Kinder komplett von der Schule genommen (voila: Unschoolery), und sie machen zu Hause nicht einfach das, was sie in der Schule tun würden, sondern er lernt mit ihnen diejenigen Dinge, für die sie sich ganz von selbst interessieren. Es gibt auch andere Leute, die für eine radikale Umgestaltung des Schulsystems argumentieren (hier Precht, da Wagenhofer, dort Gray).
Zentral dabei ist die Wahl des Kindes, und dass wir Kinder nicht nach Leistung in Form von Noten bewerten und schliesslich deren Erfolg an der Höhe des Lohnes nach abgeschlossener Ausbildung messen. Ich habe als Jugendliche gesagt, dass ich nicht aufs Gymnasium will, und auf dem Gymnasium, dass ich nicht an die Uni möchte - jetzt bin ich hier, einerseits sicherlich aus fehlendem Entscheidungsvermögen, andererseits aber auch, weil mir stets gesagt wurde, dass ich doch "mein Potential" ausschöpfen müsse. Welches Potential? Was wäre, wenn ich eine Lehre gemacht hätte und mich der gewählte Beruf komplett erfüllt hätte? Hätte ich nicht genau dann mein Potential verwirklicht? Stattdessen bin ich heute immer noch Teil des Systems, das ich innerlich ablehne, und ich weiss noch genau so wenig wie als Sekundarschülerin, wohin es mich bringen soll.
Völlig unpotentialgeleitet habe ich glücklicherweise letztes Jahr im Quartier-fast-bio-lädeli angefangen und eine Massageausbildung gemacht, die mich nun ins Hammam gebracht hat - zwei Jobs, in denen ich das tun kann, was ich gerne tue. Was ich mit der Uni mache, ist noch ungewiss, und wird es vielleicht immer bleiben.

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