Montag, 27. Januar 2014

Polarstern

Was ich in meinem letzten Beitrag angesprochen habe, ist ein Lebensstil, der sich Minimalismus nennt und der sich in meiner Welt mit den Namen Leo Babauta und Joshua Becker verknüpft. Eigentlich finde ich, dass sich Minimalismus genau so gut Maximalismus nennen könnte. Es geht darum, zu minimieren - Besitz, in erster Linie - zugunsten der Dinge, die für ein Menschenherz wirklich wichtig sind: Freunde, Familie, Tee und Apple Crumble. Für geliebte Menschen und geliebte Tätigkeiten.
In meinem Kinderkopf schwebte mir das Leben als ein klar definierter Ablauf vor. Schule, Beruf, Familie. Etwas anderes war ausserhalb des Vorstellbaren. Es war gar nie die Frage. Gut ist in dieser Gleichung Erfolg. Gute Noten, guter Beruf, gute Familie. Damit einher ging auch die Angst, dass ich versagen könnte.
Jetzt bin ich zweiundzwanzig. Wie kommt es, frage ich mich, dass es so lange gedauert hat, bis ich verstanden habe, dass diese Vorstellung keine Realität ist?
Tatsache ist: ich finde mein banales Leben so aufregend, dass ich manchmal nicht einschlafen kann. Ich bin bezaubert von meiner Arbeit, meinem Zimmer, meinem Essen, meinem Freund, den Menschen um mich herum, der Schweiz, der Aare, dem Auto- und Zugfahren, ich bin bezaubert vom Zitronenmelissentee aus dem Garten meiner Eltern und den unendlichen Möglichkeiten des hier und jetzts.
Und gleichzeitig bin ich bestürzt, verärgert, entsetzt über die Welt, darüber, dass wir die Zahnräder unseres Systems so ineinander gefügt haben, dass dazwischen Millionen von Lebewesen zermalmt werden, physisch, psychisch, emotional, finanziell. Während ich Earthlings sah mit 17 habe ich eineinhalb Stunden durchgeheult, und wenn ich heute More than Honey schaue ist es nicht viel anders.
Und mit dem Moralgeblabber, das hier bereits wieder aufhört, möchte ich noch sagen, dass ich die letzte bin, die das Recht hat, Steine zu werfen. Ich bin nicht konsequent, ich scheitere ständig, am veganen Leben, an der Authentizität, am Mitgefühl, an der Einsicht, der Ehrlichkeit, am glücklich und achtsam sein. Aber, wie es Thich Nhat Hanh so schön sagte: ich orientiere mich am Polarstern ohne zu erwarten, dass ich jemals dort ankomme.
"The problem is whether we are determined to go in the direction of compassion or not. If we are, then can we reduce the suffering to a minimum? If I lose my direction, I have to look for the North Star, and I go to the north. That does not mean I expect to arrive at the North Star. I just want to go in that direction."
- Thich Nhat Hanh

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