Diesen Post habe ich bereits vor Wochen verfasst, Teile gelöscht, andere hinzugefügt, mich gefragt ob ich das wirklich veröffentlichen will. Dann war er fertig, dachte ich, und ging für ein paar Tage zu meinen Eltern. Als ich zurück kam, hab ich ihn noch mehr in Frage gestellt. Eltern haben ein Talent dafür, mit den leisesten Worten die lauteste Kritik zu üben. Ich hab mich gefragt und vor allem hinterfragt, vom Anfang zum Ende und wieder zurück. Geändert hat sich nichts - ich denke immer noch, dass diese Gedanken wahr und wichtig sind. Mindestens für mich.
"Ich lebe mit wenig Geld gut und vor allem gerne" habe ich in meiner Beschreibung gesagt. Über Geld spricht man ja nicht, aber ich finde das nicht clever. Es gibt dem Geld eine Macht, die es gar nicht hat, und etwas mystisches. Dabei sind es bloss Zahlen, und sie sagen nichts über mich aus.
Ganz ehrlich: ich bin dem Zauber des Geldes auch nicht überlegen. Das merke ich, wenn ich auf mein Konto gucke, und die immer grösser werdende Zahl nie gross genug ist. Mehr mehr mehr. Wir kommen nie an. Selbst wenn wir Millionäre sind, ist es nie genug. Darum ists besser, diese Gedanken eher früher als später als das zu erkennen, was sie sind: halt- und sinnlos. Unser Reichtum ist stets relativ. Deshalb gilt auch hier: jetzt oder nie. Zum Beispiel um grosszügig zu sein: wenn ich jetzt kein Geld zum Spenden hab, dann hab ichs nie.
Ich werd ab und zu ein wenig skeptisch gefragt, wie ich denn gedenke, ein gutes Leben zu führen (naja, nicht in dem Wortlaut, es ist mehr so: Aber du brauchst doch einen richtigen Job? Ein richtiges Einkommen?). Weil ich glaube, dass "ein richtiger Job" & "ein richtiges Einkommen" dafür stehen, ein gutes Leben zu führen, läuft das aufs selbe hinaus. (Korrigiert mich, wenn ich das falsch sehe).
Ich würde sagen, das tue ich bereits. Mein Leben ist wunderbar (finde ich), und ich bin auch nicht komplett naiv. Von 1500 Franken kann ich leben. Ich habe dafür eine Liste gemacht (inkl. Kosten für Velo, Arzt, Kaffee, 3. Säule und Spenden (!) und alles andere eben), und wollte sie erst veröffentlichen, tue das jetzt nicht, aber falls sie jemand sehen möchte, nur zu! melde dich.
Um das zu verdeutlichen (und zu beweisen): Ich hab im 2015 durchschnittlich knapp 2500.- pro Monat verdient/erhalten und habe 10'000 Franken gespart. Dabei hab ich nebst den aufgelisteten Kosten für Massage- und Shiatsukurse noch gut 4000 Franken ausgegeben. Also hatte ich insgesamt 14'000 übrig, mit Ausgaben von 1500.- hätte ich aber nur 12'000 gespart - meine Ausgaben waren also sogar niedriger. Für meine Ferien war ich eine Woche in Taizé, eine Woche in der Provence, eine Woche in Bayern (das war für mich gratis) und eine Woche zu Hause. Kaufen und essen tu ich vorallem Bio-Futter, und das meiste davon ist Gemüse.
Also, 1500.- ist das Minimum; 2000.- sind gut, damit bleibt genug für die 3. Säule (und um teure Shiatsu Kurse zu machen), 2500.- ist schon recht luxuriös. Der Trick dabei ist natürlich, möglichst wenig Dinge zu kaufen, und sehr gut gelingt das, wenn man sich zuerst hinterfragt, zum Beispiel mit der Frage: Wenn ich dieses Produkt kaufe, hilft es mir, als Person zu wachsen? Dann kann ich also vor einem hübschen T-Shirt stehen: nein - oder vor einem hübschen Stoff, den ich erst noch zum T-Shirt nähen muss: ja. Vor allem hilft auch warten. Wenn ich das Produkt nach zwei Wochen noch will, dann ists wohl wichtig. Gut ist auch, Sachen zu kaufen (oder selbst zu machen), die man lange brauchen kann, und geliebte Dinge (selbst) zu reparieren, anstatt zu ersetzen.
Mir ist klar, dass dieses "Modell" nicht für alle realistisch ist. Wenn man nicht kerngesund ist, steigen die Kosten sofort um einiges. Wenn man alleine leben will/muss, ist die Miete doppelt oder dreifach. Ich will nicht behaupten, dass meine Lebensweise für alle ideal ist. Ich will aber sagen, dass wir im Grunde hier extrem luxuriös leben, und zu selten daran denken, mit wie wenig andere Menschen auf dieser Welt ein Leben führen - ein Leben, das genau so wertvoll ist wie unseres.
Und was mir auch bewusst ist: ich bin ein introvertiertes Mädchen ("I like to party and by party I mean read books") und wenn ich Spass haben will, gehe ich in mein Zimmer und räume meinen Schreibtisch auf. So ungefähr jedenfalls. Mit mehr als zwei Leuten im Raum fühle ich mich wie unter einer trötenden Elefantenherde - zu ertragen nur mit viel Kaffee, Alkohol oder geistiger Abwesenheit. (Am besten allerdings mit körperlicher Absenz.)
Mal abgesehen davon, bin ich jedoch immer noch überzeugt, dass unsere äusseren Umstände (abgesehen von ausreichend Essen, Schlaf und Gemeinschaft) rein gar nichts mit Glück und Zufriedenheit zu tun haben. Mir scheint, dass unsere Kultur in erster Linie Glück mit Konsum gleichsetzt - das können Waren sein (Kleider, Autos undsoweiter), aber auch Aktivitäten (Konzerte, Hobbys ect) oder Reisen. Unsere Gehirne, das hab ich mal in der Psychologie-Vorlesung an der Uni gehört, finden Neues einfach geil (sowas sag ich normalerweise ja nicht, aber hier stimmt es wirklich: geil). Dumm nur, dass Neues eben nie lange neu ist. Und so zeigen ja auch Studien dass das Gros der Menschheit nach lebensverändernder Ereignissen nach ungefähr zwei Jahren wieder den selben Glückslevel aufweist. Es gibt aber auch Wege, sein Glück dauerhaft zu steigern. Und das sind nicht Dinge wie auswandern, eine Schönheits-OP oder ein Lamborghini. Es sind kleine Dinge. Dankbar sein, achtsam sein, mitfühlend sein. Geld für andere auszugeben macht uns glücklicher als es für uns selbst zu brauchen. Das Glück ist nicht am anderen Ende der Welt - es ist hier, zu unterst in der Kaffeetasse. In jedem Atemzug.
Wie gesagt: ein Moment kann einem anderen in seiner Qualität nicht überlegen sein.
Du schüttelst vielleicht immer noch ein bisschen den Kopf und denkst beim Anblick meines Einkommens, das ist doch ein Chrampf - und überhaupt, wo ist denn da das Gute im guten Leben? Ich sags dir: Ich arbeite (idealerweise) so 50-60 Prozent und meine Arbeit ist mir wichtig. Daneben habe ich Zeit. Zeit um den besten Kaffee der Welt zu trinken, Stoffservietten zu nähen, Lichterketten zu basteln, Weihnachtskarten zu malen, meinen Avocadobaum (der noch viel Potential bezüglich "gross und stark werden" zeigt) zu giessen, Alessandro Baricco zu lesen und Mister Ed zu gucken, vegane Pizza zu backen, morgens Porridge zu kochen und Ingwertee zu trinken, der mich gesund hält und einen Blog zu schreiben. Zeit, zum Ruhe finden. Zeit für sinnlose Langeweile. Zeit zum Spielen. Zeit, um Lust zu spüren immer wieder Neues zu lernen, und zu wachsen. Ich finde das gut. Extrem gut sogar!